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Scham bei unerfülltem Kinderwunsch

Autorenbild: Sarah-Christine BoostSarah-Christine Boost

Aktualisiert: 11. Aug. 2021

Scham als entwicklungs- und identitätsfördernde Herausforderung bei Kinderwunsch

Selbstbestimmung bei Kinderwunsch

Frauen und Männer mit unerfülltem Kinderwunsch haben häufig das Gefühl "kaputt" zu sein, dass ihr Körper nicht richtig funktioniert oder sie nicht dazu gehören sind. Damit einher geht oft ein Gefühl von #Ohnmacht, #Kontrollverlust und #Scham.


„Scham ist das schmerzhafte Gefühl beziehungsweise die äußerst schmerzhafte Erfahrung zu glauben, dass wir fehlerhaft sind und deshalb keine Liebe und Zugehörigkeit verdienen.” – Brené Brown


Formen von Scham


Schamgefühle können eine ganz unterschiedliche Intensität haben. Das kann von leichter Verlegenheit, Gehemmtsein bis hin zu quälenden Zweifeln am Selbstwert gehen. Schamgefühle sind immer subjektiv: wofür sich der eine schämt, damit hat die andere gar kein Problem. Scham kann sich in ganz unterschiedlichen Facetten zeigen, hier die drei wichtigsten zum Thema #Kinderwunsch:


1. Anpassungs-Scham

In jeder Kultur gibt es bestimmte Normen, Regeln und Erwartungen. Wenn wir das Gefühl haben, dass wir diesen nicht entsprechen (können), kann ein Gefühl von Scham eintreten. #Anpassungsscham ist somit nach außen gerichtet und orientiert sich an den erwarteten Bewertungen unserer Mitmenschen.


Ohne Kinder können wir also schnell das Gefühl bekommen, nicht dazu zu gehören, wenn wir das Gefühl haben, dass dies gesellschaftlich von uns erwartet wird. Im Extremfall kann dies sogar zu einer sozialen Phobie werden, in der sich Betroffene immer mehr zurück ziehen. Dadurch leidet das Selbstvertrauen dann jedoch noch mehr und es besteht die Gefahr depressiv oder alkoholabhängig zu werden.

„Ich halte es nicht mehr aus, auch nur noch einmal gefragt zu werden: Na, wann ist es bei euch soweit?"

Scham ist also auch eine Angst vor Ausgrenzung. Wir sind emotional, psychologisch, kognitiv und spirituell auf Verbundenheit und Zugehörigkeit ausgerichtet.


2. Körper-Scham

Der eigene Körper ist sehr häufig Auslöser für Schamgefühle: wir fühlen uns zu dick, zu dünn, zu klein, zu groß, haben zu große Ohren, zu kleine Brüste, etc.


#Körperscham kann aber auch entstehen, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Körper eben nicht so funktioniert, wie er soll. Wenn wir als Mann oder Frau eben nicht in der Lage sind ein leibliches Kind zu bekommen.


3. Intimitäts-Scham

Die Intimitäts-Scham wahrt die eigene Privatsphäre gegenüber anderen. Sie warnt davor zu persönliche Gedanken oder Gefühle der Öffentlichkeit preis zu geben. Oder auch davor, intime Körperteile vor den Blicken anderer zu enthüllen. In der westlichen Welt sind das aktuell Geschlechts- und Ausscheidungsorgane, in der islamischen Kultur z.B. Haare bis hin zum gesamten Körper.


#Intimitätsscham hat also die Aufgabe, unsere körperlichen und seelischen Grenzen sowie unsere Identität zu wahren. Wir schützen unsere Gedanken, Gefühle, Phantasien, unsere Eigenart und unser Anders-Sein. Unsere Intimitäts-Scham kann beim Thema Kinderwunsch schnell verletzt werden, etwa wenn immer wieder danach gefragt wird, warum man denn keine Kinder hat.

Viele Mensch in unserem Umfeld verletzen (ungewollt) unsere Intimitäts-Scham, indem sie z.B. fragen: "Wieso habt ihr denn keine Kinder?"

Scham ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, aber keiner spricht darüber. Wir haben das Gefühl perfekt sein zu müssen. Aber wer ist das denn bitte? Jeder hat Gründe, wofür er sich schämt. Da aber keiner darüber spricht, haben wir ständig das Gefühl die Einzigen zu sein, die so gar nicht dem Ideal entsprechen.

„Je weniger wir über Scham sprechen, umso mehr Kontrolle gewinnt sie über unser Leben. – Brené Brown”

Scham-Abwehrstrategien


Es gibt vielfältige #Abwehrstrategien für Scham: wir können uns etwa einigeln und niemanden an uns ran lassen, eine soziale Maske aufsetzen oder emotional erstarren. Wir können unsere eigene Scham auf andere projizieren oder andere beschämen, damit wir unsere eigene nicht fühlen müssen. Wir können andere verachten, zynisch werden, in Negativismus verfallen, trotzig oder neidisch werden. Wir können uns aber auch in Süchte oder Phantasien flüchten. Klar ist: all diese Strategien bringen uns auf Dauer nicht weiter und entlasten uns bestenfalls kurzfristig. Einige Formen richten sich sogar gegen die eigene Person (z.B. Depression, Wut oder Sucht), andere richten sich eher gegen unsere Mitmenschen (etwa Verachtung oder Gewalt).

Durch Scham-Abwehr verlieren wir die Verbindung zu uns selbst und zu anderen.

Scham als entwicklungs- und identitätsfördernde Herausforderung


Neben der Schutz- und Wächterfunktion führt Scham auch zu einer Verunsicherung unseres #Identitätskonzeptes. Es gibt sogar Studien darüber, dass es für das Gefühl persönlicher Identität und Freiheit wesentlich sei, sich der Scham zu stellen und sie zu transzendieren (siehe: H.M. Lynd). Die Auseinandersetzung mit Schamgefühlen schützt unsere Selbstintegrität und die erfolgreiche Bewältigung unterstützt uns bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung unseres #Selbstkonzeptes. Eine kleine Dosis Scham hilft uns also uns selbst, unsere Werte, Normen und Ideale in Frage zu stellen, von anderen abzugrenzen und weiter zu entwickeln.

Durch erfolgreiche Schambewältigung brechen wir auferlegte Ideale auf und werden mehr und mehr wir selbst.

Die Chance zur Entwicklung von #Selbstbestimmung sowie #Verbindung zu sich selbst und anderen liegt also in der Fähigkeit, Scham zu ertragen und sich ihrer Herausforderung immer wieder neu zu stellen.


Quellen:

  • Brené Brown: Verletzlichkeit macht Stark

  • Stephan Marks: Scham – die tabuisierte Emotion

  • Helen Merrell Lynd: On shame and the search for identity

  • Jens Tiedemann: Die intersubjektive Natur der Scham


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